Gespräch unter Wasser

Video

Bejing, 2015 // 2024

10:20 min, loop

Das Gespräch der 2 Sitzenden im Wasser

Aquarien von Zoohandlungen sind oft so praktisch wie möglich ausgestattet. Von Schönheit und Harmonie, in der Aquaristik gelegentlich angestrebt, ist in den Verkaufsmärkten des Tierhandels nichts zu finden. Und in den Wohnzimmeraquarien vieler sogenannter Tierfreunde wohl ebenso nicht, obwohl diese Idee vohanden ist. Die Becken zeigen traurige Bühnen, auf denn sich das Verhältnis des Menschen zur Natur eindringlich abbildet. Ambitionierte aquaristische Inszenierungen sind vergleichbar den künstlichen Arrangements von Gärten und Parks oder künstlerisch-bildlichen Darstellungen, in denen, als ursprünglich gedachte, Idealverhältnisse, Vorstellungen von kosmischer Wohlproportioniertheit sowie geistige Anschauungen ihren Ausdruck finden sollen. So, wie man in solche Anlagen und Bildwerke idealisierte Staffagen und Denkorte in Form von Statuen, Büsten, Tempeln oder Skulpturen, als auch artifizielle Nachbildungen aller Art setzt, so übernimmt die Kitschproduktion diese modischen Momente einer seltsamen Naturerhöhung und mischt sie, in Form trivaler Attrappen und Deko-Versatzstücke in die Unterwasserwelt der Aquaristik ein. Des Weiteren finden sich aber auch andere Objekte aus der Unterhaltungs- und Belustigungsindustrie.

Diese vorgefundenen Unterwasser-Bühnen habe ich, wie im Stummfilm, mit hochtönenden Zwischentiteln ausgestattet. Diese Titel sind allesamt Zitate, die ich aus den beiden bekanntesten Werken der frühen chinesischen Philosophie entnommen habe, deren Verfasser (Laotzi und Kongzi) sich im Bühnenbild wiederfinden. Ebenso kommen Elemente einer taoistischen Naturbetrachtung (einsame Tempel und verborgene Bergpavillons), Mythen und menschliche Hilflosigkeiten im Verhältnis zu den Naturkräften auf den Plan. Es ist kaum erkennbar, ob nicht nur die Figuren und Einbauten, sondern auch die Pflanzen und der Aquariumboden aus Plastik sind. Schließlich haben auch die Götterschildkröten ihren Auftritt, denen bei Ladenschluss das Licht ausgeknipst wird.

"Der Vorsitzende Mao änderte den Lauf der Flüsse und versetzte Berge. Er war aber nicht in der Lage, die Form der Schildkröte zu verändern" denn, wie man noch heute sagt: "Sie birgt die Geheimnisse des Himmels und der Erde."1

Die Schildkröte steht in der chinesischen Mythologie für unwandelbare Festigkeit. Sie soll aber auch den alten Kulturheroen geholfen haben, Ordnung in das Universum (!) zu bringen. Damit entspricht ihr Handeln so gar nicht der taoistischen Kernaussage, nämlich: Nicht in die Wege des Himmels und der Erde einzugreifen. Ich betrachte die Schildkröten somit als Mittlerin zwischen Natur und Kultur, und habe ihre Szene an das Ende des Videos gesetzt. Was wäre noch anzumerken: Alle großen asiatischen Schildkrötenarten stehen derzeit kurz vor ihrer Ausrottung.2

Zitate 1 bis 8 - aus dem 道德經  Dàodéjīng des 老子 Lǎozǐ = AltMeister (ca. 6 Jh. v.Chr.) Hier aus der Neuübertragung (Keine Übersetzung) von Hans Knospe und Odette Brändli, Diogenes, 1990 und der Übersetzung von Ernst Schwarz, Reclam, 1978.

Zitat 9 - aus dem 莊子 Zhuāngzǐ des 莊子 Zhuāngzǐ = ZhuangMeister (ca. 365 v. Chr. - 290 v. Chr.) Buch XXVI, 6. Die unglückliche Götterschildkröte, Übersetzung von Ernst Schwarz, Reclam, 1978.

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English version with the assistance of translations from Arthur Waley, 1934 and James Legge, 1891.
1 aus: Wolfram Eberhard, Lexikon chinesischer Symbole, Diederichs, 1987, S.253
2 Leibnitz Gemeinschaft, 2021