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perfect activity leaves no traces

Mit einer 4.40m langen Textschablone bewegten wir uns während einer Dauer von 2 Monaten in Glasgow und seiner Peripherie. An ausgesuchten Orten wurde die Textzeile „perfect activity leaves no traces“ hinterlassen. Durch die Verwendung sich schnell verflüchtigender Materialien (Wasser, Mehl, Kalk ...) vollzieht sich die Aussage des Textes sichtbar an ihm selbst.

Die von uns benutzte Aussage stellt die Frage nach einem vermeintlichen Idealzustand.

Dieser unerreichbare Zustand wird in dem Maße interessant bleiben, wie das Bewusstsein auf die Uneinlösbarkeit dieser Idee stößt bzw. die Tatsachen auf die Nichterfüllbarkeit dieser Vorstellung hinweisen

 

Angeregt durch u.a. Lao Tse’s Tao Te Djing, welches sich mit der Frage nach dem vollkommenen Handeln in der Welt beschäftigt, befragten wir Umstände von Handlung und deren Auswirkung auf uns selbst bzw. das Umfeld im weitesten Sinne.

Wir intervenierten im öffentlichen Raum mit Textspuren, die sich schnell verflüchtigten. Dabei, und auch durch unser Auftreten mit der Schablone an verschiedenen Orten kam es zu Gesprächen mit Passanten. Der persönliche Bezug zum eigenen Handeln, und seine eben nicht zu vermeidenden Folgen, war oft Kern dieser Diskussionen.

An erster Stelle steht für uns das Verhältnis des Einzelnen zum Problem der Aussage.

Wir versuchten, durch die in die Schablone eingebrachten/eingestreuten/gesprühten traces (Reste) einen inhaltlichen Bezug zu den ausgewählten Orten und Materialien herzustellen. So verwendeten wir vor einer Schiffswerft Mehlreste, die wir in einer Getreidemühle gesammelt hatten. Zur Verhandlung stand dabei das zwingende Verhältnis der Arbeiter zu ihrer Arbeit und deren Spuren: das oft widersprüchliche Verhältnis vom Bekenntnis zum Produkt (in diesem Fall eben Waffenproduktion, von der diese Werft, eine der letzten in Glasgow, weiterleben kann), und dem Lebensunterhalt, der damit für die Familien der Werftarbeiter gesichert wird.

Nach einer Filmvorstellung sprühten wir den Text mit dem Kondenswasser, welches während der gelaufenen Vorstellungen extrahiert worden war vor den Kinoausgang. Wie die Bilder von der Leinwand verschwinden, verschwindet auch der gesprühte Text vor den Augen der Kinobesucher.

Die während des Projektzeitraums ausgebrochene Maul- und Klauenseuche bewegte uns, auch ländliche Gebiete nördlich von Glasgow mit unserer Schablone aufzusuchen. Dort stießen wir an Grenzen: Ist in einer akuten Situation, in der überlebenswichtige Maßnahmen getroffen werden müssen, die Rede von Reflexion überhaupt noch angebracht? Oder aber ist dies ein Moment, in dem genau die Auswirkung dieser Unterlassung ihre Spur zieht? Selbst unsere Anwesenheit/Bewegung im Krisengebiet fiel unter die eigene Fragestellung.

 

Die Aussage beschwört einen Urzustand der Ausgewogenheit, des eigenen Inneliegens und Lebens im Ganzen. Sie ist seit Jahrtausenden Problem des menschlichen Denkens und Handelns; und sie ist in dem Maße Problem, wie das Bewusstsein und die Tatsachen auf die Unerfülltheit dieser Idee treffen und hinweisen.

Nicht zuletzt stellt sich die Frage auch folgendermaßen: Wie verhält sich Dokumentation und Präsentation unserer Arbeit im Kunstkontext zur Aussage der gezeigten Arbeit ?

 

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perfect activity leaves no traces von BETTINA REICHMUTH

Katalogtext Saar-Ferngas Preis für junge Kunst, Wilhelm-Hack Museum, Ludwigshafen

 

perfect_Vollkommen zu sein, heißt das Erfolg, Klugheit, Reichtum? Schönheit?

Ist Kunst vielleicht der Versuch, Vollkommenheit unter einem jeweils bestimmten Aspekt zu erreichen?

Nähert sich eine künstlerische Arbeit, die gleichzeitig soziale und künstlerische Relevanz erreicht, dieser Idee? Ist es dabei wichtig, frei von gesellschaftlichen Interessen zu bleiben und gleichzeitig Modellfunktion zu übernehmen?

 

activity_Wie ist Vollkommenheit zu erreichen? Durch Aktion, Präzision, Flexibilität, Durchsetzungsvermögen, Selbstbewusstsein, Schönheitspflege, Sport?

Aktivität heißt in der Kunst zunächst, den Aufwand zu bestimmen: Materielle Aktionismen bedeuten auch technische, finanzielle und bürokratische Barrieren. Mehr Wirksamkeit durch mehr Präsenz, Größe und Materialaufwand zu erreichen, kopiert Strategien der Werbung und Politik.

 

leaves_Wie werden Handlungen bedeutend? Was bezeichnen Architekturen, Ausstellungen, Gräber, Medaillen? Der abendländische Kulturkreis setzt Sichtbarmachen voraus, um Sachverhalten Bedeutung beizumessen. Auch in der Kunst wurde bis in die 90er-Jahre hauptsächlich mit visuellen Kategorien gearbeitet: Traditionell bedeutet künstlerischer Erfolg, sichtbare Abdrücke zu hinterlassen, die nicht zuletzt dem Werk auf dem Kunstmarkt einen Platz ermöglichen.

 

no traces_Wenn die Entsorgung von Abfallprodukten mehr Geld kostet als die Beschaffung neuer materieller Güter und das neueste Hobby der Wohlstandsgesellschaft das Sichentsorgen durch Wegwerfen ist, sucht perfect activity leaves no traces nach anderen Wert- und Handlungsmaßstäben. Der Videoloop benutzt eine inszenierte Performance im öffentlichen Raum als neues Ausgangsmaterial: Während die Schriftzeichen als Gedankengut von den Passanten fortgetragen wurden, verwandelt sich durch mediale Aufzeichnung die einmalige Shortstory zur zeitlosen Video-Parabel. Das immaterielle Bild der Kamera erscheint als die einzig mögliche Spur künstlerischen Handelns – sie bezeugt, dass hier Anfang und Ende, Inhalt und Form durch Auflösung der Botschaft zur Deckung gebracht werden.

Die räumliche Verschiebung von einem spezifischen öffentlichen Platz hin zu beliebigen Ausstellungsorten bringt rezeptionsästhetisch eine Veränderung mit sich: Die soziale Alltagsrealität konzentriert sich auf eine elitäre Realität im Kunstkontext, die Bandbreite der Blicke im öffentlichen Raum wird im Ausstellungsraum durch Wiederholung auf der Zeitachse erhalten.

 

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