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untitled (Großer Knoten)

In der antiken Stadt Gordion wurde ein dem Zeus geweihter Streitwagen des sagenhaften König Midas aufbewahrt, dessen Deichsel mit einem komplizierten Knoten an jenem Fahrzeug befestigt war. Ein Orakelspruch verhieß demjenigen die Herrschaft über Asien, dem es gelänge, diesen Knoten zu lösen. An dieser Aufgabe versuchte sich auch Alexander der Große auf seinem Zug gegen Persien. Als er feststellen musste, dass es ihm unmöglich war, das kunstvoll verschlungene Gebilde aufzudröseln, durchschlug er den Knoten mit einem kraftvollen Schwerthieb: Dieser Umgang mit dem Gordischen Knoten gilt seither als eines jener Musterbeispiele für eine rasche, entschiedene und unkonventionelle Lösung eines hoch komplizierten Problems.

Doch mit der Herrschaft über Persien wurde es nichts! Was Alexander übersah, war die Tatsache, dass das Lösen von solchen Knoten und Problemen keine athletische Leistung ist, sondern eine andauernde geistige Unternehmung, und diese setzt eine Bereitschaft zum Verstehen, zum Eindringen in das Problem, auch zur Ratlosigkeit und zur demütigen Geduld angesichts der verknoteten Situation der Welt voraus. Die mit der eigentlichen Lösung des Knotens gemeinte “Initiation”, um “Herrscher Asiens” zu werden, schlug somit fehl und verdeutlicht allein die Tatsache, dass wahrhaftige und verständige Herrschaft auf diesem Weg nicht erreicht werden kann

 

Der Knotenform wurde in manchen Kulturen apotropäische Wirkung nachgesagt (griech. Apotropaion, “magisches Abwehrmittel”, “Abwehrzauber”). Der unendliche Knoten verfolgt einen ununterbrochenen Pfad, ohne Anfang oder Ende, bindet bei der Betrachtung die Aufmerksamkeit und verhindert das Eindringen in den dahinterliegenden Raum (romanische Säulen am Eingang, Buchdeckel). In der irischen Buchmalerei zeigt sich der Knoten als perfekter Ausdruck der Grenzenlosigkeit, Undurchdringlichkeit und doch ewiger Harmonie Gottes.

 

Das Knotenobjekt von Bertram Haude knüpft beim Betrachter wohl an solche Konnotationen an. Doch es scheint, als ob dieser Knoten noch gar nicht fertig geschlungen wäre - oder aber er befindet sich schon wieder im Stadium der Auflösung? Überall entdeckt man auch Seilanfänge - oder eben Seilenden. Obwohl er in seiner Farbigkeit und skulpturalen Präsenz einen durchaus sinnlich beeindruckenden Reiz auslöst, ist vielweniger die harmonische und vollkommene Metapher des Knotens als die des unendlichen und nie mehr transparenten Arbeitsprozess, auch haptisch, gegenwärtig.

 

 

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