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Die Pforte der höchsten Tugend / 至德之門 zhì dé zhi mén

Inmitten des Business-Quartiers von Chaoyang in Peking, zwischen großen, gläsernen Geschäfts- und Bankengebäuden, befindet sich auch das Kerry Hotel. Der Personaleingang dieses Luxushotels, seitlich am Gebäude an der Jing Hua Nan Jie gelegen und zu jeder Tages- und Nachtzeit von Angestellten benutzt, trägt über seiner Schwingtür eine Tafel, die folgenden Appell verkündet:

Through this door pass the most courteous,helpful and sincere employees in the world.

 

Wahrscheinlich wünscht und fordert jeder Arbeitgeber, dass sich seine emsige Angestelltenschar zuvorkommend, höflich, artig, aufrichtig, echt, wahr, herzlich, dienstbeflissen und ergebenst verhält. Und besonders in China, durch den jahrhundertealten und neuerdings wieder aufgelegten Konfuzianismus geprägt (eine feudale, instrumentalisierte Abart dessen, was Meister Kung einst lehrte), mag diese devote und beipflichtende Haltung so sehr in Fleisch und Blut übergegangen sein, dass sich auch die unterste Putzfrau noch geschmeichelt fühlt, wenn sie denn dort dienen darf.

 

So sehr der oder die Einzelne möglicherweise diese Totalität als persönliche Auszeichnung auffassen mag, so sehr dieser Anspruch vielleicht, wir wissen es nicht, einem Menschen, der diese Tür benutzt, entspricht, sosehr ist er zugleich absolute Inanspruchnahme und Vereinnahmung von Menschen, die lediglich ihre Arbeitskraft für die Stunden ihres Dienstes verkaufen müssen. Die maximale, positive Distinktion vortäuschende, auf die ganze Person geschriebene Motivationsabsicht, kehrt sich in ihrer Verpflichtungstotalität in einen Bann um und verrät so, wie selbstverständlich, die Form des Verhältnisses: Der durch Kauf vollständig in Beschlag genommene Mensch.

 

Die Parole verspricht eine Art Himmelfahrt und ist zugleich, auf zweiter Ebene, Ausdruck für Unterwerfung und umfänglichste Vereinnahmung. Sie ist höchste, per Vertrag eingegangene Verpflichtung und Damokles Schwert in einem. Der Angestellte soll seine Person und seine Entfremdung völlig ausblenden, denn er gehört ja, und genau das meint die vorgelogene, symbolische Anerkennung, zum Team der Besten. Uneingeschränkte Identifikation wird, auch nach aussen hin, nicht nur inszeniert, sondern sie ist auch der Zutrittscode, auf den man restlos festgelegt wird. So mag man, oder so muss man sich ein heutiges Höllentor vorstellen: Wer hier hindurch geht, der lasse alles andere fahren, er soll und muss nur the most courteous, helpful and sincere employee für seinen Herrn sein, kein Subjekt mit Anspruchsresten auf sich selbst, keine erkennbare Person, kein Name. Selbst die Auftrennung der Lebenszeit in Privatleben und Verkaufszeit der Arbeitskraft, wie sie von vielen Menschen heute nicht nur akzeptiert sondern auch als wünschenswert angesehen wird, ist hier überwunden: Nicht wer in den Dienst geht, übernimmt diese Super-Verpflichtung, sondern für alle Menschen, auch für die Außenstehenden, die Kunden dieser Dienste, gilt: wer die Schwelle überschreitet (nach innen und nach außen) der ist automatisch, wie bei einem Übertritt zu einer Religion, als ganzes Wesen transformiert. 

 

Diese widersprüchliche Weihe mag für Menschen, die ihre Kraft und Hoffnung in prekären, unabgesicherten, schlechtbezahlten und daher für das eigene Selbstwertgefühl desaströsen Tätigkeiten verausgaben, ohne darin Anerkennung zu erfahren, so etwas wie den gegenüberliegenden Pol ihres Daseins darstellen. Besonders am Denken des Künstlers, den das Versprechen des Marktes nicht ereilt, der sich von seiner mit allen Mitteln verteidigten und eingebildeten Autonomie gerade so etwas verspricht wie Echtheit, Wahrheit, Aufrichtigkeit, Dienstbarkeit und Ergebenheit an und in der Welt etc., prallt dieser Superlativ nicht so selbstsicher ab, wie es gern vorgibt. 

 

Bertram Haude ist mehrmals durch diese Tür, unter diesem Orakel, hindurchgegangen. Ohne dort hinein zu müssen, und ohne hinein zu dürfen, hat er sich eigenmächtig und, wenn man so will, auch solidarisch und grenzverletzend, dieses Motto ironisch angeeignet. Indem er sich diesen Superlativ anmaßt, den sich Künstler wohl gelegentlich auch wünschen mögen, doch eher als "Angestellte" der Kunst und einer utopischen Gesellschaft, tritt die Ambivalenz dieses Leitsatzes zutage.

 

 

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